Das Oktoberfest gestern und heute

Zur Freude der Münchener Stadtbevölkerung – und wohl auch ein wenig, um das Prestige des jungen, erst 1806 gegründeten Königreiches hervorzuheben – beschloss der bayerische Königshof nach diesem ersten Oktoberfest, auch im darauffolgenden Jahr zur gleichen Zeit ein Pferderennen zu veranstalten. So begann die Tradition des Oktoberfestes.

In den ersten Jahrzehnten – beinahe bis Ende des Jahrhunderts – fand das Oktoberfest auch tatsächlich im Oktober statt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ab 1872,  wurde das Fest zeitlich verlängert. Gleichzeitig verlegte man das Fest auf die als „Altweibersommer“ bekannten, meistens noch sehr schönen und warmen letzten Septembertage vor. Der Oktoberfestbeginn ist stets am Samstag nach dem 15. September, und lediglich das letzte Wiesnwochenende muss in den Oktober fallen. Seit dem Jahr 2000 kann es ferner noch einen zusätzlichen Oktoberfestmontag oder sogar -dienstag geben, falls einer der ersten beiden Tage im Oktober auf einen Sonntag fallen.

Von einem Pferderennen zum Volksfest: Das Oktoberfest im 19. Jahrhundert

Noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts glich das Oktoberfest auch eher einer Sportveranstaltung als einem Volksfest, wie wir es heute kennen. Außer am Pferderennen war Kronprinz Ludwig nämlich sehr an allem interessiert, was mit antikem Griechenland zusammenhing, und daher orientierte sich auch das Oktoberfest in den Anfangsjahren am Stil der antiken Olympischen Spiele. So galt denn auch dieses Münchener Sportfest des frühen 19. Jahrhunderts als ein Vorbild für die im Jahr 1898 ausgetragenen ersten Olympischen Spiele der Neuzeit.

Als das Fest allerdings Jahr für Jahr wuchs, kam auch immer mehr typisch Volksfestliches hinzu. Die Pferderennbahn wurde allmählich durch allerlei Schausteller verdrängt, bei denen auch die ärmeren Stadtbewohner ihre Groschen loswerden konnten. Es kamen Kegelbahnen, Schaukeln, Kletterbäume und Losstände hinzu, und bereits im Jahr 1818 wurde auch das erste Karussell aufgestellt. Als die Münchner Stadtverwaltung im Jahr 1819 die Festleitung übernahm, wurde auch zugleich beschlossen, dass das Oktoberfest jedes Jahr begangen werden sollte. In den Folgejahren fiel das Oktoberfest auch nur einige Male aus. Im Jahr 1813 hatte es wegen der napoleonischen Kriege kein Fest gegeben, und ähnlicherweise erging es aufgrund des Preußisch-Österreichischen Krieges von 1866 sowie des Deutsch-Französischen Krieges von 1870. In den Jahren 1854 und 1873 verhinderten darüber hinaus zwei Cholera-Epidemien die Organisation des Festes.

Allerdings entwickelte sich das Oktoberfest erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr zu dem Volksfest, wie man es heute in aller Welt kennt. Hierzu trug zum einen bei, dass die die Stadtverwaltung im Jahr 1880 den Bierverkauf genehmigte. Im darauffolgenden Jahr eröffnete auf der Festwiese auch die erste Hendlbraterei. Und schließlich auch die Errichtung der Bavaria am westlichen Rand der Festwiese im Jahr 1850 und der Ruhmeshalle zu ihren Füßen sorgten dafür, dass das äußerliche Bild des Festes dem heutigen bereits sehr nahe kam.

Auch technische Erneuerungen trugen zum modernen Festcharakter bei: In den 1880er Jahren konnten die damals schon über 400 Zelte und Buden mit elektrischem Licht beleuchtet werden. Auch entwickelten sich die Bierbuden immer mehr zu großen Bierzelten – oder vielmehr Bierhallen, in denen nicht nur die zahlreichen Besucher, sondern auch Musikkapellen genug Platz hatten. Und je größer das Fest wurde, umso mehr Schausteller und Karussellbesitzer zog es an, die die Festbesucher mit immer neuen Attraktionen anlockten.


Seit 1850 "bewacht" die fast 20 Meter hohe Statue der bayerischen Schutzheiligen Bavaria über die Festwiese und die Wiesngäste. Einige Jahre später, im Jahr 1853 wurde auch die Ruhmeshalle mit Büsten bedeutender bayerischer und deutscher Persönlichkeiten zu Füßen der Bavaria-Statue errichtet.

20. Jahrhundert: Jubiläen, Brüche und Neubeginn

Das 20. Jahrhundert brachte zunächst 1910 das hundertjährige Jubiläum mit sich. Mit den für die damalige Zeit unfassbaren 12.000 ausgeschenkten Hektolitern Festbier wurde dieses Ereignis befeiert. Mit den heutigen Mengen von weit über sechs Millionen Maß – also mehr als das Fünffache – kann das selbstverständlich nicht ganz mithalten. Dennoch erzählen diese Mengen eine deutliche Sprache von der Größenordnung, die das Oktoberfest bereits erreicht hatte. Auch die Bierhallen hatten schon damals die heutige Größe erreicht – und sogar überschritten. Das "Bräurosl", das damals größte Bierzelt bot Platz für 12.000 durstige und hungrige Gäste. Heute finden in der größten Bierhalle der Wiesen, der Hofbräu-Festhalle, dagegen "nur" 10.000 Wiesnbesucher einen Platz.

Ansonsten brachte die erste Hälfte des neuen Jahrhunderts wenig Erfreuliches mit sich. Während des Ersten Weltkrieges fiel das Fest an den fünf aufeinanderfolgenden Kriegsjahren von 1914 bis 1918 aus. Auch die Inflationszeit Anfang der 1920er Jahre brachte einen Bruch mit sich: Im Jahr 1923 wurde nur ein kleines Herbstfest organisiert. Nach der Währungsreform hatte im Jahr 1924 Niemand Geld für große Feste: das Oktoberfest fiel ganz aus.

Während der nationalsozialistischen Diktatur fand man auch am Oktoberfest einen willkommenen Anlass, um die Einigkeit und Einheit des Volkes – sowie die Ausgrenzung der "Fremden" zu demonstrieren. Während man im Jahr 1935 das 125. Jubiläum mit großem Aufwand und der Betonung einer klassenlosen nationalsozialistischen Gemeinschaft beging, durften deutsche Juden auf dem Oktoberfest nach 1933 sogar nicht mehr arbeiten. Nach dem "Anschluss" Österreichs und der Annektion der sudetendeutschen Gebiete im Jahr 1938, wurde das Oktoberfest in „Großdeutsches Volksfest“ umbenannt. Vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es allerdings nur ein einziges "großdeutsches" Fest, ehe der "Gröfaz" ganz Europa in Schutt und Asche legte. Und auch in den Nachkriegsjahren 1946 bis 1948 wurde es nur ein kleines Herbstfest organisiert. Insgesamt ist das Oktoberfest also wegen Kriege und sonstiger Schrecklichkeiten in den gut 200 Jahren insgesamt 24 Mal ausgefallen.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Oktoberfest schließlich zum weltweit größten Volksfest. Vom ersten Oktoberfest mit Pferderennen ist allerdings nicht mehr viel übrig. Nur zu den runden Jubiläen im Jahr 1960 und 2010 – 150 bzw. 200 Jahre Oktoberfest – gab es auch ein Pferderennen auf der Theresienwiese.

Rückkehr historischer Traditionen: Seit 2010 gibt es die Oide Wiesn

Um die alte, historische Wiesntradition wieder zu beleben, wurde im Jubiläumsjahr 2010 auf einem fünf Hektar großen, abgegrenzten Gelände am südlichen Ende der Festwiese ein historisches Oktoberfest, die „Oide Wiesn“ organisiert. Dort gab es historische Fahrgeschäfte und Festzelte sowie andere Attraktionen wie zum Beispiel ein Museumszelt, ein Velodrom sowie ein Tierzelt mit einem Streichelzoo und ein Kulturzelt mit einem künstlerisch-musischen Rahmenprogramm. Das Münchner Stadtmuseum, der Tierpark Hellabrunn und der Bayerische Bauernverband sowie zahlreiche Schausteller und Kulturschaffende halfen mit, das historische Fest und Programm zu gestalten. Und auch die sechs großen Münchner Brauereien Augustiner, Hacker-Pschorr, Hofbräu, Löwenbräu, Paulaner und Spaten arbeiteten zusammen am eigens für die Oide Wiesn gebrauten Bier: Das besondere Festbier wurde nach einer historischen Rezeptur vom Beginn des 19. Jahrhunderts hergestellt und unter dem gemeinsamen Label „Münchner Bier“ an die Gäste der Oidn Wiesn ausgeschenkt.

Die Oide Wiesn war ein solcher Riesenerfolg, dass die Münchener Stadtverwaltung beschloss, sie zu einer Dauereinrichtung neben dem eigentlichen Oktoberfest zu machen. Tatsächlich kamen zur ersten Oidn Wiesen mit etwa einer halben Million Gäste fast zweimal so viele Besucher wie erwartet, und zeitweilig musste das gesamte Gelände gesperrt werden – nicht nur einzelne Festzelte, was des Öfteren auf der „normalen“ Festwiese vorkommt. Nur auf das Pferderennen wird seit der Jubiläumswiesn von 2010 wieder verzichtet, und auch kann die Oide Wiesn alle vier Jahre wegen dem gleichzeitig stattfindenden Bayerischen Zentral-Landwirtschaftsfest – rein aus Platzgründen – nicht aufgebaut werden. Aber auch das historische Oide Wiesn geht mit der Zeit. Jedes Jahr gibt es auch auf der Oidn Wiesn Neuerungen, welche es jeweils sind, werden im vorigen April vom Münchner Stadtrat entschieden und am ersten Wiesnsamstag sehen die Besucher dann, welche Neuigkeiten hinzugekommen sind.


Die historische "Oide Wiesn" im Jahr 2010

Die "modernen Wiesn" locken Millionen Besucher aus aller Welt

Auf das "große" Oktoberfest wurde bei der Einführung der historischen Oidn Wiesn selbstverständlich nicht verzichtet. Alleine flächen- und zahlenmäßig betrachtet findet das eigentliche Volksfest auf der großen Festwiese statt: von der insgesamt 42 Hektar großen Theresienwiese nimmt die Oide Wiesn lediglich fünf in Anspruch. Nach wie vor locken Bierzelte, Schausteller und Fahrgeschäfte durchschnittlich sechs Millionen Besucher auf die Theresienwiese, etwa zwölf mehr als die kleineren Oidn Wiesn. In den letzten Jahrzehnten kommen auch immer mehr internationale Gäste zur Wiesnzeit nach München, um bei dem größten Volksfest der Welt dabei zu sein. Die größten Oktoberfesttouristengruppen kommen aus Australien, Italien, Japan und den USA.

Lange Traditionen gibt es auch im Rahmen der „normalen“ Wiesn, manche von ihnen blicken sogar auf eine weit über hundert jährige Tradition zurück. Zum Beginn des Oktoberfestes kommen die Wiesnwirte und Brauereien mit einem festlichen Umzug von den Braukellern zum Oktoberfestgelände. Danach gibt es, pünktlich um zwölf Uhr Mittags im Schottenhamel-Festzelt der Spatenbrauerei den traditionellen Fassanstich des Münchener Oberbürgermeisters. Mit den Worten "O’zapft is" wird dann das Oktoberfest offiziell für eröffnet erklärt. Und am ersten Wiesnsonntag gibt es den Trachten- und Schützenzug bei dem die Wiesnbesucher die zahlreichen Trachtenanzüge aus nah und fern bewundern können.

Neben den zahlreichen – historischen und modernen – Schaustellern können die Wiesnbesucher zwischen 14 großen und 15 kleineren Bierzelten wählen. Auf der Theresienwiese dürfen traditionell nur die Münchener Brauereien Augustiner, Hacker-Pschorr, Hofbräu, Löwenbräu, Paulaner und Spaten Festzelte aufbauen. Und angesichts der verlockend hohen Einnahmen, gehört die Berufsbezeichnung Wiesnwirt durchaus zu den begehrtesten Jobs, die München anzubieten hat. Viele Festzelte werden auch in den Münchener Wirtsfamilien seit Generationen vererbt.

In den Bierzelten – oder vielmehr Bierhallen – werden die Gäste mit Speis und Trank und einer Musikkapelle unterhalten, die dann den Takt fürs Schunkeln, Tanzen und sich gegenseitig Zuprosten gibt. In den letzten Jahren ist der Andrang auf die Festwiese allerdings so groß gewesen, dass manche Zelte sogar wegen Überfüllung haben geschlossen werden müssen.

Alles in allem ist das Oktoberfest ein riesiges Wirtschaftsunternehmen. Monate vor dem Fassanstich am ersten Wiesnsamstag werden die Bierzelte und Attraktionen auf der Theresienwiese aufgebaut. Jedes Jahr arbeiten deutlich mehr als 10.000 Personen auf dem Oktoberfest, und gute 1500 Kellner bedienen in den Festzelten. Im Durchschnitt werden jährlich etwa sechs Millionen Maß Bier getrunken, 500.000 Brathendl und 25 Tonnen Steckerlfisch gegessen. Wenn man den Gesamtumsatz der Einnahmen berücksichtigt, die während der beiden Wiesnwochen in München umgesetzt werden, kommt man durchschnittlich auf eine halbe Milliarde.


Der Aufbau der Bierzelte dauert Monate auf der Theresienwiese. Hier ein Foto aus dem Juli 2008.

Das große Volksfest hat allerdings auch manche Schattenseiten. Am 26. September 1980 explodierte eine Bombe am Haupteingang der Festwiese, was 13 Todesopfer und mehr als 200 Hundert Verletzte fordert. Wenn auch dieses Oktoberfestattentat bisher keine Nachahmer gefunden hat, ist die Befürchtung eines weiteren Anschlages seither stets vorhanden. Im Hinblick auf diesen tragischen Vorfall kommen einem die anderen Schattenseiten der Wiesn eher harmlos vor. Dennoch ist gerade in den letzten Jahren der übermäßige Alkoholkonsum vieler Oktoberfestbesucher zu einem echten Problem geworden. Deshalb wurde vor knapp zehn Jahren das Konzept "Ruhige Wiesn" entwickelt: Dadurch dass tagsüber nur traditionelle, nicht zu laute Blasmusik gespielt wird und zu den Wiesenschlagern und der Popmusik erst abends getanzt wird, möchte man die traditionelle Wiesnatmosphäre retten, in der auch Familien mit Kindern oder ältere Menschen mitfeiern können.

Für die jährlich mehr als sechs Millionen Oktoberfestbesucher brauen die Münchener Brauereien ein besonderes Oktoberfestbier. Ähnlich wie das Märzenbier, das den Braumeistern als Vorbild dient, beinhaltet das Festbier mehr Stammwürze als normales Vollbier – es müssen mindestens 13,5% sein –, und folglich ist auch der Alkoholgehalt etwas höher, bei rund 6%.